Haushaltsrede, Dr. Willi Merkel Vorsitzender der CDU-Fraktion
Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren,
wenn man heute, kurz vor dem Jahreswechsel 2013/2014 auf die Stadt Albstadt schaut, wenn man versucht, von außen die Entwicklungsprozesse der letzten Jahre zu bewerten, dann kann man sich als Haushaltsredner ziemlich entspannt zurücklehnen. Wenn das, was sich einem – gerade auch mit einem Blick von außen – darstellt, ist so schlecht nicht. Und im Grunde kumulieren sich die ganzen Entwicklungsprozesse in einer Stadt in einem Begriff: Und das ist das Image, die Außenwirkung und Ausstrahlung einer Stadt.
Das Image der Stadt Albstadt hat sich stark und positiv verändert. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich fast entschuldigen musste oder sich vorsichtig nach den Reaktionen der Gesprächspartner umgesehen hat, wenn man gesagt hat man käme aus Albstadt. Das Gefühl der Lost City, der verlorenen Stadt auf der Alb, in der Konkurse, marode Stadtstrukturen und hohe Arbeitslosigkeit das Image geprägt haben, ist hoffentlich und endlich für lange Zeit Vergangenheit. Und die Fakten dieser starken Neupositionierung sind klar: Da ist die Innenstadtentwicklung der Stadt Albstadt – ich sage ausdrücklich der Stadt Albstadt – der unglaubliche Erfolg des Tourismuskonzepts, die erfolgreiche Neupositionierung der Industrie, die die alte Textilindustrie fast vergessen macht, der Erfolg der Fachhochschule mit fas 2000 Studenten in Ebingen, die junges Leben in die Stadt bringen, auch inzwischen wieder stabile Haushaltslage der Stadt, eine so niedrige Arbeitslosigkeit und Einwohnerrückgang, wie man sie eigentlich nur aus Zeiten der Vollbeschäftigung kennt: All das hat zu dieser starken Neupositionierung der Stadt geführt. Und das wird aus einem banalen Beispiel deutlich: So wenig, wie ich das Wort Balingen in den letzten Jahren hier im Stadtrat gehört habe, so wenig ist das noch nie gefallen. Ich habe immer gerne den regionalen Wettbewerb der Städte als Beispiel genommen, und ich nehme den auch heute gerne. Und ich stelle doch mit einer gewissen Genugtuung fest, dass der „Strahlemannfaktor“ zur Zeit nicht in Balingen liegt.
Leider hält das Selbstbewusstsein der Albstädter mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Die Fähigkeit der Albstädter, über Kleinigkeiten das Ganze zu vergessen, über negative Stadtteildenken die erfolgreiche Stadt herunterzureden, das gehört für mich schon fast in Guinnessbuch der Rekorde.
Überhaupt:
Das Stadtteildenken. Das hat in den letzten Jahren wieder fröhlichen Einstand gefeiert, das ist eine schlimme Entwicklung geworden. An dieser Entwicklung sind leider auch Mitglieder des Gemeinderats und auch der Verwaltung nicht unschuldig. In den 90er Jahren gab´s in dieser Stadt einmal die Losung: In erster Linie sind wir Albstädter, keine Tailfinger, keine Laufener, keine Ebinger oder was auch immer: Wir sind Albstädter. Und dann in zweiter Linie auch Onstmettinger oder Tailfinger usw… Das scheint sich wieder total gedreht zu haben. Und die verbale Hammerkeule, die diese Drehung symbolisiert, ist der Begriff: Jetzt sind wir dran. Jede Forderung aus den Teilorten wird mit dem Slogan „Jetzt sind wir dran“ verknüpft. Sie ist deswegen schlimm, weil sie eine integrierte Stadtentwicklung konterkariert und Stadtentwicklung zur eifersüchtigen Stadtteildebatte degeneriert. Die massiven Bemühungen der 90er Jahre, ein Albstadtbewusstsein zu festigen, wirken für mich heute angesichts der Debatten der letzten Jahre fast wie eine historische Reminiszenz. Albstadt braucht auch in Zukunft kein Stadtteildenken, sondern es braucht eine qualifizierte Stadtentwicklung, die
- Schwerpunkte setzt – wir können nicht alles überall anbieten
- Konzentrationen ermöglicht
- Themen umsetzt: Themen wie die Beseitigung von Brachen, Kinder- Schul- und
- Sportstättenentwicklung usw.
Wir müssen die Stadt als geschlossenes Konzept entwickeln.
Ich fordere wirklich alle auf, diese unsägliche Entwicklung zurückzudrehen und ich hoffe, dass der anstehende Kommunalwahlkampf auch dazu dient. Wenn dieser Wahlkampf zum Gegenteil, nämlich zum Stadtteils-Populismus genutzt wird, wirft das diese Stadt, die nach außen so gut dasteht, in ihrem Selbstverständnis massiv zurück.
Was die zukünftige Entwicklung der Stadt angeht, so haben wir doch eine ganze Menge Prozesse, die wir mit einem weiter so in einer Haushaltsrede eigentlich ablegen können.
Unser soziales und kulturelles Leben funktioniert eigentlich ganz gut. Und das ist auch vieles auf der Schiene wie der Ausbau der Kinderbetreuung, die Ganztagesangebote, die Neuausrichtung der Museumslandschaft, auch der Volkshochschule. In den Themen muss man sicher weiter dranbleiben, muss den Konsolidierungskurs fortführen, aber die finanzielle Struktur erlaubt bis auf weiteres die Fortführung der Einheiten. Mit der Bevölkerungsentwicklung und der nächsten Strukturkrise wird auch der nächste Schnitt kommen, aber bis dahin scheinen bei normaler Entwicklung noch einige Jahre ins Land zu gehen und das ist auch in Ordnung so. Bei der Musikschule hapert es wohl noch, da ist Nachhilfeunterricht angesagt und wird hoffentlich auch durchgezogen, soweit das aufgrund der Vertragssituation der Beschäftigten dort geht.
Ein Problemfeld bleibt für mich offen und ist auch nicht befriedigend gelöst, das ist die Situation unserer Vereine.
In der Haushaltsrede des Oberbürgermeisters hieß es „Wir spüren eine besondere Verantwortung unserer Vereine“ – aber diese Allgemeinformulierung löst keine Aktivität aus. Wir haben den Vereinen in der Sparrunde die Vereinsförderung reduziert. Das war sicher notwendig, um einen Beitrag aller zu haben. Wir machen jetzt in dieser Sparrunde einige Deckel wieder etwas auf, weil die Haushaltssituation dies ermöglicht. Das kann man auch mittragen. Die Vereinsförderung ist heute aber stehengeblieben. Während sich der Deckel bei den Personalausgaben der Stadt deutlich lupft – und wir tragen das mit – sitzen die Schrauben der Vereinsförderung fest und starr. Viele Vereine, Sportvereine aber auch kulturtragende Vereine, haben enorme Probleme, weil bei ihnen die Kosten davonlaufen, die Einnahmen aber nicht. Sinkende Mitgliederzahlen aufgrund der Bevölkerungsentwicklung, weniger Besucher, weniger Sponsoren – all das macht das Leben nur härter. Wir sind deswegen der Meinung, dass sobald es die Haushaltslage erlaubt – und sie erlaubt es zur Zeit – die Vereinsförderung überarbeitet werden muss. Wir müssen dort helfen, die Arbeit besser unterstützen und die Motivation erhöhen.
Die Frage ist, wird es die Haushaltslage erlauben:
Die Verwaltung geht mit einem „gesunden Optimismus“ in das neue Haushaltsjahr. Auch wenn mir persönlich zur Zeit nicht nur in der Verwaltung auch bei manchen Analysten der Optimismus etwas hoch ist, teile ich die Einschätzung grundsätzlich schon. Wenn wir weltweit keinen so genannten „schwarzen Schwan“, also ein überraschendes, negatives Katastrophenszenario erleben, sollte uns in den nächsten vielleicht 2 – 3 Jahren eine einigermaßen solide Entwicklung bevorstehen. Man kann also durchaus an der einen oder anderen Stelle den Deckel etwas lupfen – auch den Personaldeckel, auch die Vereinsförderung, wenn trotzdem
a) eine starke Investitionstätigkeit bleibt
b) ein weiterer Abbau der Verschuldung
gewährleistet ist. Das scheint zur Zeit der Fall.
Trotzdem darf man das nur sehr zurückhaltend tun, da die Bedrohungsszenarien auch für die Industrie durchaus stark bleiben. Um nur zwei zu nennen:
In kurzer Zeit ist die japanische Industrie durch einen politisch gewollten Währungsverfall um fast 40 % billiger geworden. Das wird der deutsche Maschinenbau, vielleicht auch der Fahrzeugbau spüren. Der Orderrückgang des deutschen Maschinenbaus im Oktober im Vergleich zum Vorjahr lag bei – 10 %. Das ist schon stark.
Oder China treibt die Spezialisierung seiner Industrie massiv voran, China will eine japanischere oder auch deutschere Industriestruktur. Auch das dürften wir merken. Jedes Jahr ein bisschen mehr.
Aber das ist im Kern nicht beängstigend. Es ist ein vielleicht normaler Prozess im globalen Geschäft. Es soll aber unterstreichen, dass das fortführen des Konsolidierungskurses richtig ist, weil der Himmel über uns doch relativ bewölkt bleibt.
Entscheidend ist für mich aber, dass der nächste wirtschaftliche Einbruch, der zwingend kommen wird, diese Stadt in einer starken finanziellen Situation erwischt. Die Tatsache, dass bei dem letzten Einbruch 2009/2010 einen Schuldenhöchststand hatten, darf nicht mehr passieren. Ziel muss in der Stadt die Nullverschuldung bleiben und die ist nach heutiger Sicht auch erreichbar, damit man in kritischen Zeiten nicht sparen muss, sondern im Gegenteil gegensteuern und investieren kann. Soweit dies eine Stadt machen kann.
Natürlich bleibt die Bevölkerungsentwicklung unser zentrales Problem. Und da gilt es, wie beim Haushalt: Wer früh vorsorgt, wer früh die Weichen stellt, sollte später keine großen Probleme haben. Darum ging es mir hier seit Jahren. Leider haben wir da doch relativ viel Zeit versäumt, weil das Motto „nur nicht darüber reden“ in der Verwaltung dominiert hat. Das Gegenteil ist richtig. Der die Probleme früh thematisiert, wer früh dagegen steuert, der gewinnt. Wir können die Bevölkerungsentwicklung nicht umdrehen, aber wir können sie gestalten. Der Grundsatz: Wir brauchen keine neue Infrastruktur, aber die bestehende Infrastruktur muss Top sein, wird jetzt langsam Stück um Stück umgesetzt. Zur Zeit sind die Hallen dran, Kindergärten und Schulen sind in Arbeit. Das ist gut so. Geleichzeitig werden die ersten Schritte mit dem Ziel einer konkreten Innenerschließung der Stadt mit Bauplätzen u. a. gemacht. Auch das ist ein richtiger Schritt. Der Rückbau von Gewerbebrachen läuft schon länger, die Ergebnisse bisher sind in Ordnung, da muss es weitergehen. Der Rückbau von Wohnbaubrachen außerhalb der AS-Wohnbau wird jetzt endlich – zum 1. Mal – mit 2 Programmen gestützt:
Programm 1 ist das Förderprogramm, das zwar gut ist, aber noch den Geburtsfehler der Priorisierung der Wiederbebauung hat. Ich habe dem Programm zugestimmt, damit es überhaupt in Gang kommt, aber ich hoffe, dass das Nominiert wird und die Förderung von Wiederbebauung oder nicht Wiederbebauung gleich gestellt wird.
Programm 2 ist das Rückbauprogramm der Stadt, ein Haushaltstitel, der den Baubürgermeister in die Lage versetzt, Gebäudebrachen im privaten Wohnungsbereich oder auch sonst zum Restwert aufzukaufen und abzubrechen.
In vielen Ecken, gerade im Osten der Republik, hat der Bevölkerungsrückgang zu verlorenen Städten zu Lost Citys geführt. Dem kann und muss man durch eine frühzeitige Begleitung des Prozesses vor allem durch Rückbau zuvorkommen. Das Ziel muss sein, dass wir mit weniger Einwohnern eine gleich aktive Stadt ohne trostlose Ecken und vor sich hin modernden Gebäuden bleiben. Ein Bevölkerungsrückgang, der politisch so gestaltet wird, ist kein Beinbruch, deswegen hab ich ja seit 10 Jahren eine aktivere und offensivere Politik des Managements des Bevölkerungsrückgangs gefordert. Aber leider war der Blick dafür in der Verwaltung lange ziemlich verstellt. Wir werden die nächsten 10 - 12 Jahren auf etwa 40.000 Einwohner zurückgehen, da brauchen wir pro Jahr etwa 50 – 100 Wohnungen weniger in der Stadt. Was das für Albstadt heißt, auch für die AS-Wohnbau, sollte hinreichend klar sein.
Und noch ein Wort an den Baubürgermeister: Jeder Baubürgermeister sollte seine Stadt irgendwo prägen, bauen sieht man und bauen auch. Er sollte auch mit seiner Schuhgröße 46 langfristig prägende Fußstapfen hinterlassen. Ich kann es mir gut vorstellen, dass es die große Herausforderung ihrer Amtszeit sein wird, den Bevölkerungsrückgang städtebaulich erfolgreich zu managen.
Wenn das gelingt, dann wird auch eine Stadt mit vielleicht 35.000 Einwohnern eine positive, eine aktive Stadt sein mit einem motivierendem Stadtbild.
Denn das ist eben mein Petitum: Bevölkerungsrückgänge sind kein Problem, wenn sie vor allem auch städtebaulich aktiv begleitet werden. Wenn das Stadtbild lebt und positiv einstrahlt, dann lebt auch die Stadt. Egal ob da jetzt 35.000, 30.000, 45.000 oder 50.000 Einwohner leben. Nur die Tristes muss raus.
Und noch etwas:
Man muss diese Investitionen machen, wenn die Finanzen verfügbar sind. Deswegen muss man in diesen eigentlich ganz guten Zeiten das Thema stärker verfolgen, als vielleicht in schwierigen Zeiten. Man muss jetzt strukturelle Investitionen fahren, damit man der Zeit ein Stück vorausläuft.
Der zweite große Baustein des Zukunftsmanagements bleibt der Ausbau der Touristikaktivitäten. Es braucht da nichts mehr näher substantiiert werden: Der Stadt ist es gut gelungen, wir sind plötzlich eine Nummer in einer Branche, die man der Stadt nie zugetraut hätte. Das große Ziel, in der Stadt ein zweites Standbein neben der zyklischen Industrie, eben die konjunkturneutrale Dienstleistung zu installieren, ist zwar noch lange nicht erreicht, aber wir sind auf dem Weg.
Ich bin kein Freund von Zitaten, allenfalls von einfachen amerikanischen Sprichwörtern, und deswegen diese Losung:
Never change a winning system
Ändere niemals ein System, das auf der Erfolgsspur ist und das Potential hat. Wenn ich das auf den Masterplan Tourismus beziehe, heißt das, dass man das natürlich fortentwickeln soll, aber niemals im Kern und im Ziel verändern.
Wir sind bei der Tourismuskonzeption aus der Anfangsphase rausgewachsen, es kommt jetzt die Aufbauphase für die ich etwa 5 – 6 Jahre, also bis mindestens 2020 veranschlagen würde. Dann hätten wir in meiner Sicht die 3. Phase, die Abschussphase, in der man die erreichte Struktur dann verfestigen, institutionalisieren muss und sie zur Normalität wird. Albstadt wäre dann vielleicht 2025 – 26 ein touristischer Namen in Deutschland und die Stadt würde durch einen funktionierenden Tourismus deutlich an Leben gewinnen. Und das Dauerhaft. Tourismus auf der schwäbischen Alb nicht so als Nebeneffekt zu haben, wie es bisher ja viele hatten, sondern als zentrales Dienstleistungsangebot – das wäre auch für die schwäbische Alb eine richtige Pionierleistung.
Diese Aufbauphase hat natürlich Namen: Um nur ein paar Aspekte zu setzen: Da sind die Mountainbike Strecken, die Loipenkonzeption, die Vesperhütten, der Campingplatz, die Parkplätze und sicher noch vieles mehr. Das gehört alles dazu, das alles braucht Zeit und es braucht dann vor allen Dingen auch ein qualifiziertes und starkes Marketing.
Und wenn es dann noch gelingt, in einer übergreifenden regionalen Operation unter Führung der Stadt diese Marke des Albstadttourismus in einem regionalen Paket zu verfestigen, dann wäre die Aufbauphase abgeschlossen. Und wenn man dann etwas fantasiert und sagt, Albstadt wird dann von einer starken Industrie und einer starken Dienstleistung geprägt, dass war das alle Anstrengung wert, weil die Stadt dann Wetterfest ist und auch für die Bewohner attraktiv bleibt.
Ich denke also, der Ausgangspunkt für einen neuen Schwung in der Stadtentwicklung ist nicht schlecht:
- Die Haushaltssituation ermöglicht einen gewissen Spielraum
- Die Instrumente müssen nicht mehr erfunden werden sie liegen alle griffbereit auf dem Tisch
- Die strategische Konzeption steht und wird parteiübergreifend vertreten, der Stadtrat zieht so ziemlich an einem Strang
- Und vor allem auch: die Dinge sind in der ganzen Stadt umsetzbar, es ist ein stadtweites Konzept.
Es ist ja heute modern, Zukunftsperspektiven an einer runden oder halbrunden Zahl festzumachen und es ist genauso modern, dass mit dem Begriff Agenda zu verwenden. Wenn wir das also in die Agenda 2025 schreiben, dann ist mir eigentlich für Albstadt um diesen Zeitraum nicht bange.
Ich hoffe also, dass wir mit dieser Agenda 2025 dann in einer Stadt leben, in der das Stadtteildenken dem Albstadtdenken endgültig gewichen ist, in einer Stadt, die ein optisch attraktives Bild bietet, egal welche Einwohnerzahl auf dem Papier steht, in einer Stadt, in der die Arbeitslosigkeit kein Thema mehr ist, weil eine starke Industrie durch eine starke Dienstleistung ergänzt wird, und diese Stadt damit deutlich weniger anfällig gegen zyklische Schwankungen macht. Und vor allem in einer Stadt, auf die ihre Einwohner durchaus stolz sind, auch weil andere hier her kommen, um in unserer Stadt Urlaub zu machen.
In diesem Sinne vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit